Die Hauptstadt: Pi-Ramesse


Nur wenig Zeit war nach dem Tode Sethos I vergangen, als Ramses II dessen bei der alten Hyksosstadt Auaris im östlichen Nildelta gelegenen Sommerpalast zum Kern seiner neuen Hauptstadt erklärte und diese zu einer gewaltigen Metropole ausbauen ließ, die wahrscheinlich eine Fläche von über 30 Quadratkilometern bedeckte.
Er gab ihr den Namen:


Haus des Ramses, groß an Siegen



Zur Lage:

Pi-Ramesse liegt im Nordosten Ägyptens, genauer gesagt am sog. Pelusischen Nilarm (Wasser des Re), zur damaligen Zeit einer der Hauptnilarme, der eine direkte Verbindung (Schiffahrt) zu Heliopolis bzw. zu den bebauten Gebieten im Norden und zum Mittelmeer darstellte.


Östlich der Stadt befand sich das größte Entwässerungssystems des Deltas (heute Bahr el-Baqar), das mit dem Pelusischen Nilarm das Tor nach Süd-Palästina bildete.
Auch der Horusweg nahm hier seinen Anfang.
Die Gegend war sehr fruchtbar und reich, wie uns der Brief des Schreibers Pabasa berichtet:
'...Ihre Felder gedeihen mit allen guten Dingen und sie spenden jeden Tag Speise und Nahrung. Ihre Gewässer sind voller Fische und ihre Seen voller Vögel. Ihre Wiesen grünen von Kräutern und Pflanzen, die ein und eine halbe Elle hoch sind. Die Früchte des Johannisbrotbaums besitzen den Geschmack des Honigs von feuchten Feldern. Ihre Scheunen sind voll von Gerste und Emmer, bis zum Himmel reichen sie hinauf. Zwiebeln und Lauch in ..., Lattich in den Hainen, Granatäpfel und Oliven; Feigen in den obstgärten und dazu der süße Wein von k3-n-km.t (berühmter königlicher Weinberg Pi-Ramesses), der den Honig übertrifft.'



Die Bebauung:

Residenz und Wohnhäuser:

Pi-Ramesse war zu Beginn ihrer Entstehung keine gewachsene, sondern eine durch und durch geplante und durchstrukturierte Stadt.
Ihr Gesamtgelände erstreckte sich ca. 6 km in nordsüdlicher Richtung entlang des Nils und vom Knie des Pelusischen Nilarms etwa 4 km in Richtung Osten.
Die Nordstadt Pi-Ramesses (heute bei Qantir) bildete wohl das wichtigste Viertel der Stadt.
Hier befand sich der königliche Palast (genannt bechen-a'a-nachtu, d.h. die Burg (bzw. Schloß, Palast, Residenz) groß-an-Siegen), der eine Fläche von etwa 500 m x 400 m einnahm.
Der Bau wurde 1929 von Hamza entdeckt, aber erst in neuerer Zeit durch die Grabung E. Puschs erfasst.
Dessen bis zu 2,10 m dicke Schlammziegelmauern hätten in Lapilazuli- und Türkistönen erstrahlt (laut der Verherrlichung der Stadt im Pap. Anastasi III), womit die Fayenceverkleidungen der Gebäude gemeint sein dürften.
Die Wände der Wohnbauten Pi-Ramesses waren nämlich mit Fayencekacheln verschiedenster Blautöne geschmückt, von denen eine große Menge -in teilweise sehr gutem Erhaltungszustand- gefunden wurden.


Fenstergitter mit der Kartusche Ramses II, Qantir

Westlich davon lagen die Wohnungen der Würdenträger und hohen Beamten, kurzum das Verwaltungs- und Regierungszentrum Ägyptens.
Die Überreste der villenartigen Wohnsitze der höchsten Beamten hat man u.a. bei Ausheben des Didamun-Kanals (westl. von Qantir) gefunden: zahlreiche Kalksteinblöcke von Portalen, aber auch Säulenbasen und Säulen der Häuser der Prinzen, Priester und anderer Würdenträger nördlich des Königspalastes (heute Tell Abu esch-Schaf'ei)
Östlich des Palastbezirkes haben sich wahrscheinlich die Quartiere und Wohnungen der Soldaten befunden: hier wurden kleine Stelen von Soldatenhäusern gefunden.
Im Palastbezirk selber stießen die Ausgräber überraschenderweise auf Löwen-, Giraffen- und Elefantenknochen, weshalb man vermutet hat, daß sich Ramses eine Art Zoo innerhalb seiner Palastmauern gehalten hat (Ramses wird ja öfters mit seinem zahmen (?) Löwen abgebildet, der ihn offensichtlich auch während seiner Kriegszüge begleitete).
Südlich des Palastes befand sich wahrscheinlich der Palastsee, worauf eine große symmetrische Depression schließen lässt, überhaupt ist Pi-Ramesse von Kanälen durchzogen und durch verschiedene Gewässer aufgegliedert:
Die Südstadt (bei Tell el-Dab'a) wurde von dem übrigen Stadtgebiet durch einen über 1 km langen und ca. 500 m breiten See abgegrenzt, der mit einem Seitenarm des Nils verbunden war, was heute noch erkennbar ist.
Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Identifizierung des Wohnhauses des berühmten Wesirs Paser, das sich dort befunden hat.



Die Tempel:

Die Tempel Pi-Ramesses waren an einer Ost-West-Achse -d.h. im rechten Winkel zum Nil- ausgerichtet, so daß der Weg ins Tempelinnere bei Sonnenaufgang erhellt wurde.
In bzw. vor den Tempel standen einst die riesigen Kolossalstatuen Ramses II -mindestens 50 an der Zahl-, von denen heute nur noch Fragmente erhalten sind, die sich nicht mehr zusammensetzen lassen.
Eine besondere Schwierigkeit, die Tempel Pi-Ramesses zu rekonstruieren, liegt darin, daß sie später abgerissen und die Architekturelemente -besonders von den Pharaonen der 22. Dyn.- zum Aufbau einer neuen Hauptstadt (Tanis) wieder verwendet wurden.
D.h. die Fülle der erhaltenen Teile ist enorm, sie befinden sich nur leider nicht mehr an Ort und Stelle, was einen Wiederaufbau so gut wie unmöglich macht.


Block aus Tanis mit der Darstellung Ramses II beim Kultlauf

Im Norden der Stadt, in direkter Nähe zum Königspalast standen sich der Tempel des Re und der des Amun (in Flußnähe, d.h. im Westen: leider so gut wie gar keine ramessidischen Schichten erhalten) gegenüber, weiter nördlich davon die Tempel des Ptah und der Sachmet-Wadjet.
Zwischen den Tempeln des Amun und des Ptah befand sich der Heb-Sed-Bezirk mit den zwei großen Jubiläumshallen, die vin zahlreichen Obelisken geschmückt waren.
Im Gebiet der Marställe im Osten lag ein der syrischen Kriegsgöttin Astarte geweihtes Heiligtum, die dort als Schutzgöttin der königlichen Pferde verehrt wurde und in der Südstadt der Tempelbezirk des Seth mit seiner trapezförmigen Umfassungsmauer, der eine Fläche von 100 x 150 m einnimmt.
Westlich des Sethtempels existierte wahrscheinlich im späten NR eine Nekropole der unteren Bevölkerungsschichten, worauf die dort gefundenen anthropoiden Tonsargfragmente hindeuten.



Fayenceziegel aus Qantir - Gründungsbeigabe
Länge: 36,1 cm; Breite: 17,9 cm; Höhe: 6,7 cm


Neuere Funde

Zu den Ausgrabungen des Roemer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim unter der Leitung von Herrn Dr. Edgar Pusch siehe auch den ausführlichen Artikel auf der Website des Museums!

Zu den bedeutsamsten Funden, die in den 90er Jahren in Qantir gemacht wurden, gehörte zweifelsohne der Goldboden des königlichen Palastes.
Vor dem Auftragen wurden offenbar Goldflitter in den Stuck geschüttet, nachdem dieser auf dem festgestampften Lehmboden verstrichen und getrocknet war, wurde er in den verschiedensten Farbtönen bemalt.
Das Ergebnis war ein bunter und glitzender, funkelnder Boden.
Bislang wurden über 180 Quadratmeter davon freigelegt, winzigkleine Teile, die wie ein Puzzle zusammengesetzt werden müssen.
Auf fünf Quadratmeter fanden die Ausgräber drei bis vier Gramm Gold.


Eine weitere Sensation waren die ungeheuer großen Pferdeställe, die eine Fläche von 17.500 Quadratmetern einnahmen und offenbar Platz für über 450 Tiere boten.
Die Ställe bestanden aus sechs identischen Reihen riesiger Hallen, die von einem großen Innenhof abgingen.
Von jeder dieser Hallen gingen wiederum zwölf weitere ab, jede einzelne etwa 12 m lang.
Die Böden der Stallungen waren leicht abschüssig und mit einem Drainagesystem verbunden, so daß der Urin der dort gehaltenen Pferde problemlos abfließen und in gigantischen Becken aufgefangen werden konnte. Er wurde wahrscheinlich zum Düngen oder zur Ledergerbung verwendet.
Kalksteinpfosten mit Bohrung konnten als Anbindesteine für Pferde identifiziert werden.
Neben den Stallungen befand sich offenbar das Lager für die Streitwagen und eine Art Fabrik, wo die Streitwagen hergestellt bzw. repariert und instand gehalten wurden.
Jochgabelknäufe aus Alabaster und bronzene Trensengeschirre wurden dort gefunden.
Berechnungen zufolge hatten über 260 Streiwagen dort Platz.


Trensen aus Bronze, Qantir

Ebenfalls großes Erstaunen riefen die großen Industrieanlagen der Stadt hervor.
Die Anlage zur Bronzeherstellung und -verarbeitung in Pi-Ramesse mit ihren vier 9 x 9 m großen Kreuzöfen und sechs 15 m langen Schmelzbatterien stellt die größte dieser Art im gesamten Mittelmeerraum dar.
Auch eine Glashütte existierte, in der -den Untersuchungen der dort gefundenen Schlacken zufolge- buntes Glas hergestellt wurde, u.a. in dem kostbaren Farbton ägyptisch-blau.

Für Aufsehen sorgte der Fund eines 5x5cm großen Fragmentes einer Tontafel im Herbst 2003 dar, deren Inschriften in akkadischer Sprache möglicherweise Hinweise auf die diplomatische Korrespondenz Ramses II und somit auf das verloren gegangene Keilschriftarchiv Pi-Ramesses geben könnten.
Leider sind nur einzelne Wörter/Wortteile erhalten, die allerdings keine genaue Einordnung des Fundes zulassen.
 
 

Die Inschrift lautet:
Zeile 1: unleserlich
Zeile 2:...der So]hn (?) diesem...
Zeile 3:...die Gebiete...
Zeile 4:...mögen sich freuen...
Zeile 5:...viele...
Zeile 6:...machte er...
Zeile 7:...Ram]se (?), der Herr der Länder...
Zeile 8:...mir...
Zeile 9:...die Götter...
Zeilen 10-12 sind unleserlich.



© dpa
 
 
Im Herbst 2005 fand das Ausgräberteam um Dr. Manfred Bietak in Tell el-Dab'a eine Nekropole aus der Zeit Ramses II. mit 70 Skeletten, die zum Teil in Tonsarkophagen bestattet worden waren.
Die Frauen waren lediglich rund 1,37 bis 1,45 Meter groß, Männer durchschnittlich zehn Zentimeter größer.
Genauere Informationen zu diesem Fund finden Sie HIER!

Probleme

Ein großes Problem für die Ausgräber stellt die im Norden Ägyptens herrschende Bodenfeuchtigkeit dar.
Leider liegt die Stätte, an der sich Pi-Ramesse einst befand, nicht in der Wüste, sondern im morastigen Grund des Deltas, was eine fatale Wirkung auf den Erhaltungszustand der antiken Relikte hatte: Kalkstein ist so weich geworden, daß man ihn schneiden kann, von den zum größten Teil aus Schlammziegel bestehenden Bauten finden sich nur noch Spuren, organisches hat sich aufgelöst.
Stratigraphisches Arbeiten wird durch das unregelmäßige Bodenniveau erschwert.
Teilweise müssen Unterschiede von bis zu drei Metern ausgeglichen werden.
Vieles ist aber auch durch die Ackerlandgewinnung und die Bautätigkeit jüngerer Zeit zerstört worden.
Auch durch den Abriß der Stadt während der Antike sind wenig Gebäude erhalten geblieben.
Pi-Ramesse wurde wahrscheinlich aufgrund der zunehmenden Versandung des Pelusischen Nilarmes während der 21. Dyn. zugunsten von Tanis als Hauptstadt aufgegeben.
In der 22. Dynastie diente die Stadt quasi als Steinbruch für den Ausbau der neuen Residenz.
Eine andere Erklärung für den Hauptstadtwechsel stellt die Theorie Habachis dar, der behauptet, Pi-Ramesse sei wegen der ab der 22. Dynastie nachweisbaren Verfemung des dort herrschenden Seth-Kultes verlassen worden.

Trotzdem sind die ersten Arbeiten einer Topographie der einst so glanzvollen Hauptstadt Ramses II gemacht: mit Hilfe der magnetischen Prospektion wurde seit Mitte der 90er Jahre Teil des Areals untersucht -ungefähr ein Fünfzehntel der Gesamtfläche.