Henutmire, Tochter und Gemahlin Ramses II.



Titel: Königstochter, leibliche Königstochter, Königsgemahlin, Große Königliche Gemahlin, Herrin der beiden Länder, Herrscherin von Ober- und Unterägypten

Henutmire ist durch einige Abbildungen auf Rundplastiken aus der Regierungszeit Ramses II. sowie durch ihr Grab QV 75 bekannt. Sie taucht in keiner der Prinzessinnenlisten auf, wobei man da allerdings bemerken muß, daß einige Namen -insbesondere die der spätergeborenen Töchter- aufgrund Zerstörung verloren gegangen sind.

 
 

Eine gut erhaltene Darstellung der Prinzessin befindet sich auf einer Standfigur Ramses II, die ihn als Stabträger zeigt. Sie besteht aus Rosengranit und wurde in Abukir aufgefunden, von wo sie aus ins graecoromanische Museum nach Alexandria verbracht wurde. An der Seite erkennt man die in Relief und ausgesprochen detailreich ausgeführte Figur Henutmires mit Jugendlocke. Sie trägt den königlichen Uräus und einen Modius mit Kuhgehörn, Sonnenscheibe und Doppelfeder, Kreolen und einen breiten Halskragen als Schmuck und ein plissiertes Gewand mit weiten Ärmeln. Darüber eine kurze Inschrift mit ihren Titeln und ihrem Namen, d.h. sA.t nswt n X.t=f mrj=f Hm.t nswt wr.t Hnw.t-mj-ra: Die von ihm geliebte, leibliche Königstochter, die Große Königliche Gemahlin Henutmire.

Ein weiteres Mal erscheint die Prinzessin auf der linken Seite der Statue der Königsmutter Tuja, die heute im Vatikanischen Museum aufbewahrt wird. Aufgrund dieses Kontextes ist Henutmire lange Zeit für eine jüngere Schwester Ramses II gehalten worden. Jedoch wird sie nirgends, wie Ramses' ältere Schwester Tia, so auch bezeichnet, sondern stets nur als Königstochter und (Große) Königliche Gemahlin, ebenso in den Inschriften ihres Grabes bzw. denen auf ihrem Sarkophag, der in der 22. Dynastie von Harsiese, einem Hohepriester des Amun zur Zeit Osorkons II., wiederverwendet und in Medinet Habu aufgefunden wurde.

   
 

Als jr.jt-pa.t wird Henutmire auf einem Kalksteinkoloss Ramses II. bezeichnet, der einst den Tempel von Hermopolis schmückte. Auf der rechten Seite, vor dem Thron der Sitzfigur erscheint die Erbprinzessin, groß an Gunst, Herrscherin von Ober- und Unterägypten, Königstochter und Große Königliche Gemahlin, Bint-Anat, beschenkt mit Leben und auf der anderen Seite parallel dazu Henutmire mit derselben Titulatur. Wie auch bei dem Stabträger im Museum von Alexandria lautet der Horusname Ramses II. hier Starker Stier, geliebt von Maat, Herr der Sedfeste wie sein Vater Ptah-Tatenen, was darauf hinweist, das beide Statuen in der zweiten Regierungshälfte, d.h. frühestens nach dem zweiten Sedfest Ramses II., angefertigt worden sind. Neben der Tatsache, daß Henutmire nicht in den (vollständigen, unzerstörten) Auflistungen der erstgeborenen Prinzessinnen zu finden ist, lässt dies den Schluß zu, daß es sich bei ihr um eine der jüngeren Töchter des Königs gehandelt haben muß. Mit Sicherheit war sie keine Tochter Nefertaris, denn sie erscheint weder im kleinen noch im großen Tempel von Abu Simbel. In beiden Anlagen wurden ausschließlich die älteren Kinder Ramses II abgebildet: daß Henutmire dort fehlt, untermauert die These ihrer späten Geburt. Wäre sie ein Nachzögling Nefertaris gewesen, hätte man ihre Darstellung vermutlich noch nachträglich der Dekoration des kleinen Tempels zugefügt.

Die Vermutung, daß nur die Töchter von Großen Königlichen Gemahlinnen Ramses II. diesen Rang erhielten, also von der Mutter ererbten, muß zu der Schlußfolgerung führen, daß auch Henutmires Mutter eine der Hauptgemahlinnen des Herrschers gewesen war.
Wer jedoch käme als Mutter der spätgeborenen Henutmire in Betracht? Nefertari kann es aus den oben genannten Gründen nicht gewesen sein, auch eine Abstammung von Isisnofret möchte ich ausschließen: beide Ehefrauen können allein schon aufgrund ihres Alters nicht in Frage kommen. Demnach bleiben nur die beiden jüngeren Großen Königlichen Gemahlinnen Bint-Anat und Merit-Amun übrig. Da jedoch auf der Sitzfigur Ramses II. aus Hermopolis Bint-Anat und Henutmire zusammen erscheinen, den König flankieren, zudem auch noch dieselben Titel tragen, möchte ich annehmen, daß es sich bei Henutmire um die Tochter Bint-Anats und folglich um das namenlose Mädchen handelt, das in QV 71, dem Grab der Königin Bint-Anat, abgebildet ist.
Ob es sich bei Henutmire tatsächlich um einen Sprößling einer Vater-Tochter-Ehe handelt, kann nicht beantwortet werden. Die Bezeichnung sA.t nswt n X.t=f, leibliche Königstochter, kann ebenso mit Enkelin übersetzt oder als (Bluts-) Verwandte des Königs verstanden werden. Möglicherweise kommt auch einer von Bint-Anats Brüdern als Erzeuger Henutmires in Betracht.