Der Tempel Ramses II in Abydos


Zur Lage

Der abydenische Tempel Ramses II liegt noch nicht einmal einen halben Kilometer nordwestlich des großen Tempels Sethos I am Rande des Fruchtlandes in der Nähe des Dorfes el-Arabah el-Madfunah, also im Zentrum des Stadtgebietes von Abydos.
Der Tempel ist leider sehr schlecht erhalten, da seine Mauern im 19. und 20. Jahrhundert bis auf 2 m Höhe abgetragen worden sind. Die Überreste seiner Gebäudeteile zeigen jedoch wunderschöne, zarte und zum größten Teil erhabene Reliefs -ganz im Stil Sethos I gehalten-, deren Farbenpracht auch heute noch dem modernen Betrachter ins Auge sticht.
Dem Stil nach zu urteilen wurde der Bau schon im ersten Regierungsjahr Ramses II begonnen, wahrscheinlich schon vor Wiederaufnahme der Tätigkeiten am Sethostempel, der von Ramses nach dem Tod seines Vaters Sethos vollendet wurde.

Der Tempel Ramses II trägt den Namen



Ramses, geliebt von Amun, vereint mit dem Gau von Ta-wer

Das Tempelgebäude

Der Ramsestempel in Abydos stellt das Musterbeispiel einer ägyptischen Tempelanlage dar, die aus einem Eingangspylon, dem ersten offenen Säulenhof, dem zweiten Pylon, dem zweiten offenen Säulenhof, einem höhergelegenen Portikus oder Pronaos (meistens eine zweireihige Pfeilerhalle, die über Rampen betreten wurde), und zwei hintereinander liegenden Hypostylen bestand, seitlich davon und/oder dahinter kleinere Kapellen und Kammern. Die Anlage besaß eine Zentralachse, die zum Allerheiligsten führte.
An den Außenmauern finden sich generell Berichte und Darstellungen der Kriegszüge des Pharao, wie hier die der Kadeschschlacht. Eine Inschrift an der südlichen Außenwand allerdings erzählt von der Errichtung der Anlage und den Stiftungen, die für ihren Unterhalt nötig waren.

Einen Grundriß des Ramsestempels finden Sie HIER !


Die Gabenbringer aus dem Erscheinungssaal

Der erste Pylon und der erste Hof

Sowohl der erste Pylon als auch der erste Hof sind bis auf geringe Überreste vollkommen zerstört. Die Grundmauern einer kleinen Heb-Sed-Kapelle im ersten Hof können noch besichtigt werden.


Der zweite Pylon und der zweite Hof

Auch der zweite Pylon ist stark zerstört. Auf den Innenseiten des Tores kann man den Gott Thot erkennen, der die Kartuschen Ramses II notiert.
Der zweite Hof war einst von insgesamt 26 Osirispfeilern umgeben: sechs an jeder Seite, nur die dem Hof zugewandte Fassade des Portikus besaß acht.
Die Dekoration der Süd-, Ost- und Nordwand des zweiten Hofes zeigt im wesentlichen Teile des Pekerfestes mit dem Prozessionszug und der Fahrt der Barke, die das Reliquiar mit sich führte, in dem sich das Haupt des Osiris befunden haben soll.
Zum Pekerfest siehe den Exkurs Abydos !
Den Reliefs nach zu urteilen handelte es sich bei der Barkenfahrt des Kopfreliquiars tatsächlich um eine echte Schiffsfahrt, denn einst verband ein Kanal den weiter nördlich gelegenen Osiristempel von Kôm es-Sultan mit dem Ramsestempel, wo die Prozession auf ihrem Weg zur Nekropole von Peker einen Zwischenstopp einlegte.
Drei Rampen führen vom Hof hinauf zum Portikus: seitlich je eine kleine, in der Mitte eine größere, die Zentralachse markierend.


Der zweite Hof

Der Portikus

Der Portikus wird von zwei Reihen von je vier Pfeilern rechts und links der deutlich erkennbaren Tempelachse gebildet.
Vier Kapellen (Nr. 1-4 nach dem Grundriß) öffnen sich auf den Portikus, der gegen den Hof hin durch eine Reihe Osirispfeiler abgegrenzt wird.


Die Kapellen 1-4

Die erste der vier Kapellen, die man über die seitlichen Rampen, die zum Portikus führen, betreten kann, war dem Kult des verstorbenen Sethos I geweiht. Sie enthielt die Barke und eine Statue des Königs. Darstellungen an den Wänden zeigen Ramses II, der vor der Barke seines Vaters Opfergaben darbringt.


Opfergaben

Daneben befindet sich Kapelle 2, die Vorfahrenkapelle, die der Verehrung der Amtsvorgänger Ramses II diente. An ihrer rechten Seite befindet sich ein Durchgang zum Erscheinungssaal.
Die Kapelle 3 stellt eine der Besonderheiten dieses Tempels dar. Ihr Dekorationsprogramm umfasst nicht nur eine Darstellung des Großvaters und der Eltern Ramses II -Ramses I, Sethos I und Tuja-, und der Ahnen der 18. Dynastie -Ahmose, Ahmes-Nefertari und Amenophis I-, sondern auch eine verkürzte Version der Sonnenlitanei bestehend aus sieben Versen und den 75 Anrufungen der Erscheinungsformen des Sonnengottes, die üblicherweise zum Korpus der königlichen Jenseitstexte gehörte. Die Hieroglyphen und Illustrationen der Sonnenlitanei sind viel weniger tief als die übrigen Reliefs, sie wirken wie eine 'spätere Zutat' (so R. Breitenstein), weshalb man vermutet, daß diese Kapelle erst nach dem Tode Ramses II für seinen Totenkult umgewandelt worden ist. Abgesehen davon findet sich ansonsten kein Raum, der für den Totenkult Ramses II vorgesehen ist.


Der Gott Thot - Kapelle 3

Darstellungen der oberen Abschnitte der Wände zeigen Ramses II bei seiner Krönung, bei einem Reinigungsritual und wie er vor seiner eigenen Barke ein Opfer darbringt (Südwand). Auch die Seelen von Dep und Pe, die die Barke des Königs mit seinem Sitzbild aus dem Tempel tragen und von Thot begrüsst werden sind hier abgebildet (Nordwand).


Barke Ramses II in Kapelle 3

In Kapelle 4 hingegen befand sich die Barke Ramses II, sie diente seinem Kult schon zu Lebzeiten. Ihr Bildprogramm entspricht in etwa dem der Kapelle 3 mit ihren Szenen der kultischen Reinigung und der Verleihung der Königswürde an Ramses II.
An der Nordwand befindet sich ein besonders schönes Relief von Ramses II, der von der Hathorkuh gesäugt wird, östlich davon eine Wiedergabe des Königs vor einem reich beladenem Opfertisch, gegenüber davon eine Darstellung Ramses II an einem Speisetisch sitzend, vor ihm Thot und Iunmutef, die Gebete sprechen.


Eingang in die Kapelle 4

Der erste Säulensaal -der Erscheinungssaal- und Kapelle e

Der erste Säulensaal, der nun nach dem üblichen Bauschema eines ägyptischen Tempels zu erwarten wäre, ist hier streng genommen gar keiner, denn bei den Säulen handelt es sich in diesem Falle um acht Pfeiler quadratischer Grundfläche, die einst das Tempeldach trugen (so auch im zweiten Hypostyl).
Diese Halle wird deshalb -auch um den irreführenden Begriff Säulensaal zu vermeiden und die Funktion des Raumes zu betonen- in der Sekundärliteratur Erscheinungssaal genannt. An seinen Wänden ist Ramses II abgebildet, der opfernd vor der abydenischen Triade erscheint, außerdem die Prozession, die die Osirisreliquien ins Tempelinnere geleitet.
Am hinteren Teil der Nordwand befindet sich der Durchgang zu Kapelle e, die sehr stark zerstört ist. Möglicherweise war sie einer der Erscheinungsformen des Osiris geweiht, die Deutungen der noch erkennbaren Reliefs variieren stark. Der Raum trägt den Namen Kapelle für sein erhabenes Kultbild, woraus man schließen kann, daß sich hier einst eine Statue eines Gottes männlichen Geschlechts befunden hat.
Gegenüber dem Eingang der Kapelle e befindet sich der Treppenaufgang, der auf das Tempeldach führte.

Der zweite Säulensaal -der Opfertischsaal

Wie der Erscheinungssaal so ist auch der sich anschließende Opfertischsaal mit acht Pfeilern geschmückt. Fragmente der Decke, die von Mariette während seiner Grabungen in Abydos gefunden wurden, zeigen, daß diese einst mit ausführlichen astronomischen Darstellungen -ähnlich denen der Bibliothek im Ramesseum- verziert gewesen war.

Das Allerheiligste -die Kapellen 5-7

Hinter dem Opfertischsaal, genau in der Zentralachse des Tempels liegend, schließt sich nun die mit kostbarem Alabaster verkleidete Kapelle des Osiris an (Kapelle 6), links davon die Kapelle seines Sohnes Horus (Kapelle 5) und zu seiner Rechten die seiner Schwestergattin Isis (Kapelle 7). Als Beispiel für die drei Kapellen des Allerheiligsten sei hier die des Osiris beschrieben:
Im Sanktuar des Osiris befindet sich eine leider beschädigte Statuengruppe aus schwarzem Granit, die (von links nach rechts) die Figuren von Ramses II (als amtierender Herrscher = Horus), Horus, Osiris, Isis und Sethos I (als verstorbener Herrscher und Vorgänger des Horus = Osiris) wiedergibt.

Die Reliefs dieser Kapelle zeigen das Tragegestell, mit dem die Osirisreliquie beim Pekerfest transportiert wurde und die dazu gehörige Barke, was darauf hinweist, daß der Raum als einer der Aufbewahrungsorte des Kopfreliqiuars während der mehrtägigen Osirisfeste genutzt wurde.
Die Rückwand wird durch eine Scheintür und eine Darstellung der Vereinigung der beiden Länder geschmückt.


Relief aus der Horuskapelle

Die Kammern a-c

Die Kammern a und b dienten als Magazinräume, in denen Stoffe, die Kleidungsstücke und Schmuck und Ölgefäße für die tägliche Salbung der Götterstatuen aufbewahrt worden sind.
Die Inschriften an den Durchgängen zu den beiden Kammern besagen, daß es sich bei Kammer a um den 'Raum für die Stoffe, um mit Leinen die Glieder des Gottes' und bei Kammer b um den 'Raum für den Götterschatz des Vaters der Neunheit' gehandelt hat.
Die Reliefs an den Wänden zeigen u.a. Priester, die einen Kasten mit frischer Kleidung für das Bild des Amun herbeibringen.
Kammer c ist stark zerstört. Sie diente als Vorraum zu Kammer d und war möglicherweise mit weiteren Darstellungen Ramses II geschmückt, die ihn als Horus und Nachfolger des Osiris zeigten.


Kammer d

Die schlecht erhaltene Kammer d wird durch Kammer c betreten und war wie die parallel angelegte Kammer i der aus Heliopolis stammenden Götterneunheit geweiht, die hier in Kammer d von Ramses II angeführt wird. Die neun in die Wände eingelassenen Nischen waren für die Statuen der neun Urgötter Atum, Schu, Tefnut, Geb, Nut, Osiris, Isis, Seth und Nephthys vorgesehen.


Die Kammern f-h

Die Kammern f und g waren wahrscheinlich den Göttern Nun (f) und Min (S) geweiht, während Kammer h, die relativ gut erhalten ist, als Vorraum zu Kammer i gedient hat.
Die Reliefs von Kammer h zeigen eine besonders schöne Darstellung von Ramses II, dem von seinem zu Osiris gewordenem Vater Sethos I Sedfeste verheißen werden.
An der Ostwand ist Ramses II beim Vasenlauf zu sehen: ein Ritual, das als Vorbereitung für den Eintritt des regierenden Herrschers (Ramses II) in das Sanktuar des verstorbenen (Sethos I) absolviert werden musste. Eine weitere Szene zeigt Ramses II, der mit erhobenen Armen den auf einem Thron sitzenden Sethos I preist. Gegenüber befindet sich eine Darstellung Ramses II als Iunmutefpriester, der Rituale vor und für seinen Vater vollzieht.


Kammer i:

Wie Kammer d war auch Kammer i dem Kult der heliopolitanischen Neunheit gewidmet, die allerdings im Gegensatz zu der Göttergruppe von Kammer i nicht von Ramses II, sondern von Sethos I begleitet wird. Somit symbolisiert Kammer i den unterweltlichen Palast, das Wohnhauses des verstorbenen Herrschers, der mit seinem Tode zu Osiris wurde und Kammer d die diesseitige Welt, die des lebenden und regierenden Herrschers, des Horus.
Kammer i diente in der Funktion als Palast des Osiris auch als mögliche Aufbewahrungsstätte für den Kopf des Osiris während des Pekerfestes. Hinweise darauf finden sich am Eingang: zwei symmetrische Abbildungen der Osirisreliquie in ihrem Schrein, der von Dämonen und Schlangen geschützt und von Ramses II gesalbt wird.


Ramses vor einem geflügelten Djedpfeiler in Kammer i